In seiner Rede am 9. November 2025 wies Frank‑Walter Steinmeier eindringlich darauf hin, dass Demokratie und Freiheit nicht von allein bleiben, sondern von jedem Einzelnen verteidigt werden müssen. (DIE ZEIT) Diese Mahnung richtet sich nicht allein an politische Akteure, sie gilt genauso für unser schulisches Miteinander, für das, was junge Menschen brauchen, um sich in einer komplexen Welt zurechtzufinden.
In der Schule heißt das: Klarheit darüber, was wir glauben, wofür wir stehen und wie wir handeln wollen, kurz: Werte. Werte sind der innere Kompass, der uns Orientierung gibt, wenn äußere Strukturen schwanken.
Warum Werteermittlung gerade jetzt wichtig ist
Jugendliche wachsen heute in Zeiten großer Unsicherheit auf: Digitalisierung, Pandemieerfahrungen, Umbrüche im Lebenslauf, Wunsch nach Sinn. In solchen Zeiten liefert das Bewusstsein für eigene Werte einen Halt, der über kurzfristige Ziele hinausgeht. Wenn Steinmeier sagt, dass „Demokratie aktive Mitgestaltung braucht“, dann meint er damit: Wir alle sind gefordert und junge Menschen brauchen einen inneren Kern, an dem sie sich orientieren. (ZDFheute)
Schule kann hier einen entscheidenden Beitrag leisten, indem sie Lernräume schafft, in denen Werte erlebt werden können.
Der Workshop: Mit Jugendlichen Werte entwerfen
In meinen Klassen habe ich mit den Kindern und Jugendlichen eine Werteermittlung durchgeführt. Wir starteten mit der Frage: Was bedeutet mir wirklich etwas? Gemeinsam sammelten wir Werte wie Vertrauen, Respekt, Freundschaft, Kreativität und Verantwortung.
Im Anschluss arbeiteten die Jugendlichen mit Hilfe einer Wertematrix ihre beiden wichtigsten Werte für sich heraus und diskutierten, warum gerade diese Werte wichtig für sie sind und wie sie ihnen im Alltag geholfen haben könnten. Sie schrieben dann einen Brief an ihr zukünftiges Ich, in dem sie festhielten, wie sie diese Werte in den kommenden Monaten leben wollen.
Mehrere Jugendliche äußerten, dass sie selten darüber nachgedacht hätten, „was mir wirklich wichtig ist“. Die Methode öffnete Räume für Selbstreflexion, für Gespräche über das Innenleben. Genau das ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass wir uns lebendig durchs Leben bewegen.
Welche Schritte helfen konkret zur Wertearbeit
- Aus Werten auswählen: Jede Person benennt für sich aus einer Sammlung an Werten zehn Begriffe, die für sie Bedeutung haben.
- Priorisieren und erklären: Nach und nach werden zwei Werte ausgewählt, für jede Schülerin und für jeden Schüler, mit ganz individuellen Begründungen und Beispielen.
- Brief an das Ich: In einem Brief wird festgehalten, wie diese Werte in den nächsten Monaten wirken sollen: Ich vertraue mir selbst … Ich unterstütze andere …
Diese drei Schritte bringen Klarheit (Was zählt?), Struktur (Wie handle ich?) und Resilienz (Wofür stehe ich?). In diesen Unterrichtsstunden zeigten Jugendliche große Offenheit, ein starkes Zeichen dafür, dass Wertearbeit keineswegs esoterisch ist, sondern greifbar und wirksam.
Wertearbeit und schulischer Alltag
Durch die Umsetzung im Unterricht wird die schulische Leistung mit Sinn verbunden. Wenn Schülerinnen und Schüler wissen, wofür sie lernen, warum sie handeln, dann entsteht ein tieferes Engagement. Wenn Werte im Klassenzimmer diskutiert werden, entsteht eine Atmosphäre, in der Lernen möglich wird, weil Identität da ist.
Steinmeier erinnerte daran: „Mischen Sie sich ein … in der Schule, an der Bushaltestelle, am Arbeitsplatz.“ (DIE ZEIT) Wertearbeit ist nicht additiv – sie ist verbindend.
Mein Wunsch für die Zukunft
Ich wünsche mir, dass Schulen Wertearbeit als integralen Bestandteil gelingender Bildung sehen. Werteermittlung, Reflexion und Identitätsarbeit verdienen Raum und Zeit. Denn: Wenn junge Menschen wissen, wofür sie stehen und wohin sie wollen, dann wachsen Klarheit, Struktur und innere Stärke, und das schützt sie vor Orientierungslosigkeit.
Gerade in Zeiten, in denen Freiheit und Demokratie auf dem Prüfstand stehen, kommt dieser Ausbildung eine besondere Bedeutung zu. Schulen, Lehrkräfte und Lernende sind gemeinsam gefragt. Und es wäre wunderbar, wenn wir dafür die Kapazitäten schaffen könnten.